„Wir müssen Putin die Stirn bieten“- Thema Europa in der ADS

Jürgen Hardt, Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU Fraktion, zu Besuch in der ADS

Herr Hardt, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, war nicht zum ersten Mal in der ADS, um mit Schülerinnen und Schülern über Europa zu diskutieren. Wegen der Corona-Beschränkungen hatte er uns aber zwei Jahre nicht besuchen können. Umso mehr freuten wir uns auf den Besuch, da es angesichts der politischen Situation in Europa sicher Spannendes zu diskutieren gäbe.

Bevor das Gespräch auf Europa kam, ging Herr Hardt auf Nachfrage auf seine geänderte Rolle ein: War er während der Zeit der großen Koalition von CDU/CSU und SPD als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU neben dem damaligen Außenminister „nur“ eine weitere relevante Person im Bereich der Außenpolitik, so ist er nun nach eigenen Angaben im Grunde die zentrale Gegenstimme der Opposition zur Außenministerin Anna-Lena Baerbock und wird nun deutlich häufiger um eine Stellungnahme gebeten. Er betonte, wie wichtig es sei, sich z.B. mit dem Fraktionsvorsitzenden seiner Partei, Friedrich Merz, gut abzustimmen, um in der Öffentlichkeit keine unterschiedlichen Haltungen zu verkünden.

Herr Hardt betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition angesichts weitreichender Beschlüsse wie dem zur Bereitstellung von 100 Mrd. für die Bundeswehr oder zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Er ließ – ganz im Sinne des Oppositionspolitikers – anklingen, dass es die CDU/CSU gewesen sei, die den Antrag auf Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine in den Bundestag eingebracht habe, während die Regierung sehr zögerlich gewesen sei.

Auf die Frage einer Schülerin, wie er sich den Kontakt zu Russland nach dem Krieg vorstelle, betonte Herr Hardt, dass er das Problem in Putin sehe und nicht pauschal bei Russland und den Menschen. Er hoffe, dass die russische Bevölkerung auf Dauer den Krieg trotz Desinformation hinterfragen werde, da die Familien getöteter russischer Soldaten sich nicht mehr in die Irre führen ließen. Er machte deutlich, dass Deutschland niemals mehr eine einseitige Fokussierung auf einen Energielieferanten zulassen dürfe, und hofft auf eine EU-Strategie für die Zeit nach dem Krieg. Er verwies darauf, dass russisches Gas seiner Meinung nach eigentlich bisher positiv zu bewerten war, da es ohne Fracking hergestellt wird und ohne Schiffe transportiert wird, was unter Umweltaspekten begrüßenswert sei.

Im Rahmen des Stichwortes „Abhängigkeit“ weitete sich der Blick nun auf China: Die Nachfrage eines Schülers zielte darauf ab, ob sich Europa nicht in Abhängigkeit von China begebe, wenn China Infrastruktur (z.B. Häfen) in Europa aufkaufe oder baue. Herr Hardt antwortete sehr differenziert auf diese Frage: Beim Mobilfunkstandard 5 G sei die Situation nicht so dramatisch wie befürchtet, er betonte aber, dass Europa Schlüsseltechnologien selbst herstellen müsse. Dabei sei natürlich mit hohen Kosten für die Entwicklung zu rechnen. Problem sei insgesamt, dass China in der Regel den besseren Preis bieten könne, weil das politisch gewollt und unterstützt werde. Daher sei eine Zusammenarbeit mit den USA für Europa hilfreich, gleichzeitig sei aber auch die Industrie gefordert, nicht um jeden Preis im billigeren Ausland zu produzieren. Die Verantwortung für relevante Teile der Produktion wie Chips liege beim Management der Industrie.

Am Beispiel des Investments in einen Hamburger Containerhafen-Betreiber machte Hardt deutlich, dass auch im Hinblick auf China die marktwirtschaftlichen Elemente erhalten werden müssten: Solange es noch Wettbewerb im Bereich dieser Hafenlogistik gebe, sei eigentlich nichts gegen ein chinesisches Investment einzuwenden. Dennoch wäre es gut, wenn bei Direktinvestitionen auf Wechselseitigkeit geachtet würde, was bedeutete, dass China z.B. in Deutschland nur dann ein Container-Terminal übernehmen dürfe, wenn es umgekehrt auch deutsche derartige Investitionen in China zuließe- das sei aber nicht der Fall.

Der Blick wandte sich nun zurück nach Europa: Auf die Frage, ob ein neuer kalter Krieg drohe, formulierte Herr Hardt prägnant: „Dieser ist schon da.“ Bezüglich der beantragten NATO-Beitritte Finnlands und Schwedens und der angedrohten Blockade dieses Beitritts durch die Türkei, zeigte sich Herr Hardt überzeugt, dass die Schwierigkeiten in naher Zukunft ausgeräumt werden könnten. Er skizzierte die Situation so, dass seiner Meinung nach die Türkei ihre militärischen Interessen (Lieferung von US-Flugzeugen) hier mit diesem Beitrittsthema verknüpfe. Am Ende werde es einen typischen politischen „Kuhhandel“ geben, bei dem zugegebenermaßen zwei Themen miteinander verknüpft würden, die eigentlich nicht zusammengehören.

Neben diesem NATO-Beitritt kam auch der von der Ukraine gewünschte Beitritt zur EU zur Sprache: Eine Schülerin äußerte die Sorge, dass es zu einem schnellen Beitritt der Ukraine kommen könnte, was andere Beitrittskandidaten als ungerecht empfinden würden. Herr Hardt zeigte auf, dass die Ukraine seiner Meinung nach ein realistisches Bild auf die Situation habe: Sie wolle schnell den „Kandidatenstatus“, was ein wichtiges Signal sei, sei sich aber im Klaren, dass der Beitrittsprozess an sich dann aber dauern würde. Herr Hardt sieht z.B. ein Problem in der bisher mangelnden Korruptionsbekämpfung in der Ukraine sowie Defizite in der Justiz. Vorübergehend schlug er als Lösung für alle Beitrittskandidaten vor, dass diese ohne Stimmrecht in Organen der EU (z.B. dem Ministerrat) mitwirken könnten.

Sowohl beim Beitritt weiterer Staaten zur NATO wie auch beim Beitritt der Ukraine zur EU zeigte Herr Hardt auf, dass seiner Meinung nach die Einstimmigkeit der bisherigen Mitglieder für die Entscheidung berechtigt sei, um spätere Probleme auszuschließen.

Ein Schüler fragte nach der kritischen Situation, die sich durch blockierte Getreidelieferungen aus ukrainischen Häfen ergebe: Herr Hardt erläuterte detailliert die Situation und zeigte dann den Lösungsversuch der EU auf, über Züge und LKW das Getreide aus den Lagern in der Ukraine herauszuholen. Das sei schwierig. Die diesjährige Ernte scheine nach jetzigem Stand der Dinge zu 5/6 gesichert, die Lage könne nicht abschließend bewertet werden. Er sieht das Problem, dass Russland in besetzten Gebieten Getreide und Lebensmittel abtransportiert hat, betont aber, dass 4/5 der Ukraine nicht betroffen seien.

Nach einer weiteren Frage zum Rückzug aus Afghanistan lag einer Schülerin die Frage am Herzen, warum die Menschen und die Politik durch den Ukraine-Krieg viel stärker beeindruckt seien, sich aber weniger für den Krieg in Syrien und Palästina interessierten.

Herr Hardt führte das auf die konkretere Bedrohung für Europa zurück, die darin liege, dass er eine Art Kettenreaktion befürchtet, wenn Russland in der Ukraine siegen würde: Seiner Meinung nach würde Russland dann Moldau, Georgien und schließlich das Baltikum zu vereinnahmen suchen. Er betonte daher abschließend erneut, dass man Putin „die Stirn bieten müsse“, da die Diplomatie seit der Krim-Annexion vergeblich versucht habe, ihn diplomatisch zu beeinflussen.

Abschließend erläuterte Herr Hardt auf Nachfrage, wie sein Alltag in Berlin aussieht, wenn eine sogenannte Sitzungswoche ist: Dann stehen zahlreiche Besprechungen in diversen Gruppierungen an, die alle letztlich miteinander verzahnt sein müssen, um am Ende z.B. in einem Antrag im Bundestag zu münden: Gespräche mit der Gruppe der NRW-Abgeordneten der CDU, Sitzung des Vorstandes der Fraktion der CDU/CSU, Arbeitsgruppe Auswärtiges der CDU/CSU, Fraktionssitzung, Sitzung des auswärtigen Ausschusses, dann Plenarsitzungen des Bundestages. Sicherlich hat diese Fülle an Verpflichtungen einige Schüler beeindruckt.

Am Ende sind es aber die „kleinen“ Details, die die Schülerinnen und Schüler überraschten: Das Mittagessen mit dem Außenminister der Ukraine, der direkte Draht zu Frau Baerbock per sms, die vielen Reisen in die USA, um dort mit führenden Politikern über Außenpolitik zu sprechen.   So wurde Politik anschaulich.

 

Bk, 24.5.2022